WAS DEINE WUT MIT EINEM AUFGEREGTEN LABRADOR GEMEINSAM HAT

WUT

Rumpelstilzchen, der unglaubliche Hulk und gelegentlich auch wir haben eines gemeinsam - wir alle fühlen sie hin und wieder: eine riesige Wut. 

Das ist „zum aus der Haut fahren“ – Wer verkörpert dieses Bild besser als der unglaubliche Hulk. Ein ganz normaler Mensch wird im Moment der Wut plötzlich ein ganz anderer: groß, stark, beängstigend und nichtmehr er selbst. Er hat Schwierigkeiten, seine Taten und sich selbst in der Wut zu kontrollieren.

ICH BIN NICHT WÜTEND!

Wut ist ein Gefühl, welches meist negativ bewertet wird und schon gar nicht als sozial verträglich. Wir lernen schon im Kindesalter, dass man dieses Gefühl nicht zulassen und erst recht nicht ausleben darf. Kinder erleben dann Ablehnung und im schlimmsten Fall sogar einen Kontaktabbruch, weil Eltern sie in Momenten großer Wut allein lassen oder ihnen die Wut absprechen. Sie lernen dadurch: Bevor ich also einen Bindungsverlust erlebe, verbanne ich dieses Gefühl.

Später als Erwachsene sind wir nicht mehr in der Lage, die Wut zu spüren oder sie gar zu unserem Vorteil zu nutzen. Dabei sind wir wütend: wir sind wütend, wenn wir übergangen werden, wir sind wütend, wenn sich jemand in der Warteschlange vordrängelt, in der wir schon eine halbe Stunde warten. Wir sind wütend, wenn unser Partner uns zu Unrecht beschuldigt. Wenn sich die Wut dann doch ihren Weg nach außen bahnt, dann bricht sie explosionsartig aus uns heraus, weil sie Zeit hatte, sich unbeachtet anzustauen.

Manchmal wird Wut auch nicht als solche (an-)erkannt und sogar umbenannt. 

Wir sagen zum Beispiel: „Ich bin traurig“, anstelle von wütend oder verärgert.

WO ENTSTEHT UNSERE WUT IM GEHIRN?

Unsere Wut entsteht in dem entwicklungsgeschichtlich wohl ältesten Teil unseres Gehirns. Mehrere Schaltstellen arbeiten hier schnell zusammen. Werden bestimmte Sinneseindrücke wahrgenommen, wird über den Thalamus die Amygdala aktiv. Unser Körper wird auf einen möglichen Kampf (oder Flucht) vorbereitet. Über den Hypothalamus und den Hirnstamm kommt es zu einer „Aktivierung“ unseres Körpers. Hormone, wie Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet und sorgen für einen erhöhten Blutdruck und einen schnelleren Puls. Wir schwitzen stärker und bekommen durch die stärkere Durchblutung manchmal auch einen roten Kopf. Diese Aktivierung bewirkt, dass unsere Muskulatur mit genügend Sauerstoff versorgt werden kann, um uns kampfbereit und schmerzunempfindlicher zu machen. Diese Prozesse verlaufen blitzschnell und unbewusst und sind sozusagen der „quick and dirty“ -Weg der Reizverarbeitung.

 

Ein zweiter Weg läuft parallel dazu ab: vom Thalamus zur Hirnrinde. Hier kommt es zu einer detailgenaueren Verarbeitung der Reize über mehrere Instanzen. Es werden Gedächtnisinhalte abgerufen, um eine Situation mit früheren abzugleichen. Gefühle werden bewusst wahrgenommen und über den präfrontalen Cortex (eines der entwicklungsgeschichtlich jüngsten Teile unseres Gehirns) verarbeitet. 

Genau hier kommt es zu einer Verbindung mit unserem Bewusstsein. Dieser Weg ist allerdings viel langsamer als der erste. Wurde eine Situation über den zweiten, langsameren Weg bewusst beurteilt, wird das Ergebnis wieder zurückgesendet, zur erneuten Verarbeitung. Dann kann eine Modifikation der ersten Reaktion erfolgen. Dies kann sowohl zu einer Abmilderung als auch zu einer Verstärkung führen.

WAS MACHT UNS WÜTEND?

Oft hat die Intensität unserer Reaktion etwas mit unserem Selbstwert zu tun und welche Lernerfahrungen wir machen durften oder mussten.

Wie sehr empfinden wir Ungerechtigkeit, wie sehr fühlen wir uns nicht gesehen, übergangen, verletzt, oder provoziert? All diese negativen Erfahrungen lösen Wut aus und das in unterschiedlichen Intensitäten.

 

Wie sieht das an einem Beispiel konkret aus?

Folgende Situation:  Du läufst auf einem Gehweg nur für Fußgänger, ein Fahrradfahrer kommt von hinten schnell angefahren und beschimpft dich, weil er nicht genug Platz hat. Eine Situation, in der dir Unrecht widerfährt und du auch noch beleidigt wirst.

 

Variante 1: Du wirst wütend, ballst vielleicht die Hände zu Fäusten, spannst dich an und fragst dich, was sich dieser Kerl wohl einbildet. Kurz darauf sagst du aber zu dir: Ich kann diesen Menschen nicht ändern, es lohnt sich nicht, sich über ihn aufzuregen.

Du spürst vielleicht noch den schnelleren Herzschlag oder ein starkes Herzklopfen, doch dein Verstand hat die Situation anhand von Erfahrungen neu bewertet. Du beruhigst dich.

 

Variante 2: Du wirst wütend, du ballst deine Hände zu Fäusten. Du schreist ihm eine Beleidigung hinterher. An der nächsten Kreuzung bleibt der Fahrradfahrer stehen; du bist immer noch wütend und schimpfst auf ihn ein und wirst vielleicht sogar handgreiflich, weil der Fahrradfahrer auch wiederum wütend wird und dich beleidigt. Du hast vielleicht viele Erfahrungen damit gemacht, dass du immer übergangen wirst, dass man dich von oben herab behandelt hat. Vielleicht hast du aber auch nie gelernt deine Gefühle zu regulieren, weil alles, was nicht „brav“ ist, verboten und bestraft wurde. Der Eindruck des übergriffigen Fahrradfahrers trifft bei der Bewertung über den präfrontalen Cortex auf viele vergangene Situationen, in denen du ähnlich verletzt wurdest. Anstatt jetzt bremsend auf die Wut zu wirken, wird sie noch weiter angekurbelt.

Bei dieser Variante kommt es auch zu den sogenannten „Kurzschlussreaktionen“.

WIE KÖNNEN WIR LERNEN UNSERE WUT ZU KONTROLLIEREN UND ZU NUTZEN?

Um Wut kontrollieren und lenken zu können, muss ich wieder lernen, sie zu spüren, anzunehmen und zuzulassen. Ich muss wieder lernen, was Wut ist und warum ich wütend werde. 

Fühle ich mich provoziert, herabgesetzt, oder ungerecht behandelt? Was macht das mit meinem Körper?

Ich muss bewusst spüren, dass mein Herz anders schlägt, dass ich angespannter bin, flacher und schneller atme. Dann kann ich besser lernen, meine Reaktionen zu verändern. 

 

Ich muss lernen, dass ich wütend sein darf und dass ich es auch in manchen Zeiten bin. 

Wut ist keine Schwäche oder etwas, dessen man sich schämen müsste.

 

Manchmal haben wir durch viele negative Erfahrungen uns selbst so konditioniert, dass wir bei vermeintlich kleineren Dingen förmlich toben. Die Amygdala ist sehr aktiv, wie auch unser präfrontaler Cortex. Wir können uns diese Muster glücklicherweise auch abtrainieren, in dem wir bewusst andere Sichtweisen auf Situationen erlernen. 

Wenn wir uns z.B. schon angegriffen fühlen, wenn uns jemand kritisiert, dann haben wir wenig Reaktionsspielraum. Wenn wir uns aber vor Augen führen, wie wir selbst andere kritisieren, was wir damit meinen oder bezwecken wollen und dass wir damit nicht jemanden beleidigen wollen, dann erweitern wir unser Repertoire an Sichtweisen. Die Amygdala ist trotzdem sehr aktiv und zeigt uns Gefahr, jedoch arbeitet der präfrontale Kortex jetzt noch stärker, um unsere Situation neu zu verarbeiten. Indem wir also lernen, Situationen neu zu bewerten, verändern wir die Stärke und somit das Ausmaß der Reaktion. 

AUF AUGENHÖHE MIT DER WUT

Um zu lernen die Wut besser als einen Teil von sich anzunehmen, kann es hilfreich sein, 

innere Bilder zu entwickeln. Stell dir zum Beispiel folgendes vor: Du sitzt auf einem Stuhl. 

Dir gegenüber steht ein weiterer Stuhl. Auf diesem lässt du deine Wut Platz nehmen. Überlege dir, wie sie aussehen könnte. Sprich zu deiner Wut: wie empfindest du sie, was würdest du ihr gerne sagen? Jetzt tauscht ihr die Perspektiven. Versetze dich in deine Wut. Was könnte dir deine Wut sagen? Kann sie dir vielleicht sogar nützlich sein?

DER AUFGEREGTE LABRADOR UND DEINE WUT

Jetzt kommen wir zum aufgeregten Labrador: Stell dir vor, du bist klein und stehst ganz nah vor einem großen Hund. So nah dran wirkt er riesig, beängstigend und hat gefährliche, spitze Zähne. Aber wenn du weiter entfernt stehst, wirkt er auf einmal viel kleiner und sieht überhaupt nicht mehr beängstigend aus. Es ist ein aufgeregter Labrador, der darauf wartet, dass du dich mit ihm beschäftigst, damit er seine Energie rauslassen kann. Er möchte nicht beißen oder zerstören, er möchte eine Beschäftigung. Wenn du ihn zu lange dort mit seiner Energie ignorierst, wird er anfangen, alles um ihn herum anzuknabbern, aggressiv zu werden, um irgendwie deine Aufmerksamkeit zu erlangen. Diese Bilder können dabei helfen, das Gefühl anzunehmen.

WAS TUN, WENN UNS DIE WUT ÜBERFLUTET?

Wenn uns die Wut zu überfluten scheint, wenn wir das Gefühl haben, dass wir nicht mehr rational handlungsfähig sind, müssen wir uns aus der Situation ziehen. In einem Streit mit dem Partner können wir sagen: Ich bin gerade sehr wütend und kann nicht vernünftig reden. Ich brauche jetzt eine Pause. Dann verlässt man den Raum. Es kann unterschiedlich lange dauern, bis unser Ärger verraucht ist. So lange sollten wir uns die Auszeit nehmen.

 

Wichtig ist, generell etwas zu finden, mit dem wir uns direkt in der Situation runterbringen können. Manche gehen zum Beispiel direkt raus, spazieren, joggen, oder hauen kurz auf ein Kissen, wenn die innere Spannung zu groß wird.

Finde etwas, was du direkt in der Situation tun kannst, um dich zu beruhigen. 

Versuche im Nachhinein die Situation erneut zu durchdenken und andere Bewertungen zu finden.

 

Oft reicht auch nur ein kurzer Moment, bis wir wieder „Herr unserer Sinne“ sind und unsere Hirnrinde wieder die Oberhand hat. Diesen Moment können wir aussitzen, indem wir z.B. bis 10 zählen. Klingt banal, überbrückt aber genau diese Zeit, die das Gehirn braucht. 

 

Du kannst auch mehrmals bewusst atmen (kurzes Einatmen-langes Ausatmen). Dadurch überbrückst du ebenso Zeit und stimulierst gleichzeitig deinen Vagusnerv, der wiederum dafür sorgt, dass du ruhiger wirst. Dein Puls und Blutdruck sinken. 

WAS PASSIERT, WENN MAN SEINE EIGENE WUT ABLEHNT ODER IGNORIERT?

Wenn ich jedoch dauerhaft meine Wut ablehne, sie ignoriere und nicht herausfinde, warum ich wütend bin, kann sich diese aufstauen bis hin zu einer überschießenden, unkontrollierbaren Wut. Quasi der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, ein kleines, unbedeutendes Ereignis kann dann plötzlich in aggressivem Verhalten gegen andere oder gegen sich selbst enden.

 

Unterdrückte Wut hat weitere negative körperliche und psychische Folgen. Ein dauerhaft hohes Stresslevel sorgt für ständige Ausschüttung von Hormonen, die uns die Energie rauben und unser Herz-Kreislauf-System schädigen. Im weiteren Verlauf kann dies auch zu schweren Depressionen führen.

FAZIT

Wut gehört wie alle Gefühle zu uns, sie muss gefühlt werden und gibt uns einen spürbaren und dringenden Auftrag, etwas zu verändern. Wir dürfen sie nicht ungefiltert rauslassen, dürfen sie aber annehmen und lernen, sie als Wegweiser zu nutzen. 

 

Manchmal kann man seine Wut nicht allein verstehen und lenken lernen. 

Es gibt für Betroffenen und Angehörige viele hilfreiche Webseiten, Literatur und Hilfsangebote (Anti-Aggressions-Therapien)

 

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